Großer Hai im kleineren Becken: Wie Nadiem Amiri seine Karriere neu erfand
- Nico Kellmann

- 20. März
- 3 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 22. März
San Siro, Mailand. Die Luft ist kühl, das Flutlicht taucht den Rasen in grelles Weiß. Italien gegen Deutschland – Nations-League-Viertelfinale, große Bühne. Neben ihm stehen Namen wie Musiala, Havertz und Kimmich, aber für Nadiem Amiri fühlt es sich anders an. Für sie ist es Routine, für ihn eine Rückkehr. Ein zweiter Anlauf. Ein neuer Anfang. Denn noch vor wenigen Monaten spielte er nicht in San Siro, sondern in Heidenheim, Kiel oder Augsburg. Und jetzt ist er wieder hier.
Er nimmt einen tiefen Atemzug, schaut kurz zu Julian Nagelsmann. Sie kennen sich lange, länger als alle anderen hier. „Unsere Beziehung ist nicht die eines normalen Spielers und Trainers“, hat Amiri erst vor ein paar Tagen gesagt. Vielleicht ist er genau deswegen hier.
Warum es in Leverkusen nicht passte
Es gab eine Zeit, da schien Amiri für größere Aufgaben bestimmt zu sein. Er kam als 9-Millionen-Transfer nach Leverkusen, als einer, der sich in Hoffenheim zum modernen Mittelfeldspieler entwickelt hatte. Ein Spieler mit Auge, mit Technik, mit dem Mut, das Spiel in die eigene Hand zu nehmen.
Doch bei Bayer lief es anders. Leverkusen spielte direkter, schneller, vertikaler. Umschalten, tief stehen, mit Tempo kontern. Amiri war keiner für das Chaos, keiner für den wilden Schlagabtausch. Er wollte das Spiel lenken, nicht ihm hinterherlaufen.
Langsam wurde er zur Randfigur. Dann kam die Leihe nach Genua, ein Experiment, das nicht so richtig funktionierte. Dann die Rückkehr – und schließlich die bittere Erkenntnis: So geht es nicht weiter.
Warum Mainz genau der richtige Schritt war
Also Mainz. Ein kleineres Becken, aber dafür der große Hai.
Amiri war plötzlich nicht mehr Ergänzungsspieler, sondern Taktgeber. Trainer Bo Henriksen hatte eine Mannschaft, die funktionierte, aber ihr fehlte ein Spieler, der nicht nur mitlief, sondern das Spiel gestaltete. Einer, der nicht nur das Tempo der anderen nutzte, sondern selbst das Tempo bestimmte.
Plötzlich war er nicht mehr nur der schlaue Passgeber, sondern auch der, der sich in Zweikämpfe warf. Der den Ball forderte, anstatt ihn nur weiterzuleiten. Mainz wurde von einer Mannschaft, die meist reagierte, zu einer, die agierte.
„Ich habe hier das Vertrauen gespürt, das ich gebraucht habe“, sagt Amiri.
Wie er sich als Spielmacher neu erfand
Es gibt diese Szene im Spiel gegen Bayern. Mainz führt, aber die Münchener kommen. Amiri bekommt den Ball im Mittelfeld, hat eine Sekunde Zeit. Er könnte den Ball wegspielen, den leichten Pass nehmen. Aber er macht es nicht.
Er lässt seinen Gegenspieler aussteigen, dreht auf, spielt einen vertikalen Pass zwischen zwei Verteidiger – und plötzlich ist Mainz nicht mehr unter Druck, sondern auf dem Weg zum nächsten Tor.
Es sind diese Momente, die ihn so wertvoll machen. Er spielt nicht nur mit, er lenkt.
Er ist kein Achter, kein Zehner, kein klassischer Sechser – er ist ein Spielmacher auf moderne Art.
Warum Nagelsmann ihn zurückholte
Nagelsmann kennt ihn, besser als jeder andere Trainer. Er weiß, dass Amiri nicht der ist, der mit langen Läufen oder physischer Dominanz auffällt. Aber er ist der, der das Spiel aus dem Mittelfeld heraus in eine Richtung lenken kann.
Und genau das fehlte Deutschland zuletzt. Ein Spieler, der nicht nur Räume erkennt, sondern sie schafft. Der den Moment abwarten kann, wenn er kommen muss – und ihn beschleunigen kann, wenn es nötig ist.
„Nachdem ich am Dienstag von Bundestrainer Julian Nagelsmann angerufen worden bin, sind mir die Tränen gekommen“, gibt Amiri offen zu.
Er weiß, dass er diese Chance nicht geschenkt bekommen hat. Er weiß, dass er sich das hier erarbeitet hat.
San Siro, ein neuer Anfang
Die Mannschaft stellt sich auf, die Hymnen erklingen. Amiri atmet tief durch.
Er ist wieder hier.
Er ist nicht mehr der, der er 2021 war.
Er ist besser.
Jetzt muss er es nur noch zeigen.







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