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Der Architekt von Canstatt – Wie Sebastian Hoeneß den VfB Stuttgart neu erfand

  • Autorenbild: Nico Kellmann
    Nico Kellmann
  • 3. Apr.
  • 8 Min. Lesezeit

Es ist März, Flutlicht über dem Neckar. Pokalhalbfinale, Stuttgart gegen Leipzig. Die Kurve schiebt, der VfB führt – und an der Seitenlinie steht einer, der nicht schreit, sondern steuert. Sebastian Hoeneß, Kapuzenjacke, konzentrierter Blick. Keine Show, kein aufgesetztes Pathos. Aber die Körpersprache sagt: Ich weiß, was wir hier tun.


Er ist nicht der Lauteste, aber auch nicht der Leiseste. Wer ihn erlebt, merkt schnell: Hoeneß hat Präsenz. Eine ruhige, entschiedene Art, die auch dann nicht wankt, wenn alles um ihn herum tobt. Einer, der seine Ansprachen auf den Punkt bringt. Klar, ohne die Floskeln. Direkt, ohne das Drama. Und genau das macht ihn heute so besonders – und so erfolgreich.


Dabei war es nicht leicht, sich aus dem Schatten eines Nachnamens zu lösen, der in Deutschland für Macht, Meinung und Meisterschaften steht. Sebastian Hoeneß, geboren 1982 in München, ist Sohn von Dieter, Neffe von Uli. In vielen Porträts ist das der erste Satz. Und vielleicht muss es das sogar sein. Denn um zu verstehen, wer Sebastian Hoeneß heute ist, muss man wissen, woher er kommt – und wie er sich Stück für Stück daraus freigespielt hat.


Der, der sich seinen Namen neu bauen musste


Wenn man Sebastian Hoeneß fragt, ob der Nachname im Fußball ein Geschenk sei oder eine Last, sagt er:

„Ich habe früh gemerkt, dass ich meinen eigenen Weg gehen muss. Ich wollte gar nicht davon profitieren.“

Ein Satz, der hängen bleibt. Weil er belegt, was in seiner Karriere tatsächlich passiert ist: Dass einer, dem das goldene Netzwerk in die Wiege gelegt wurde, lieber die Seiteneingänge genommen hat.


Der Start in Zehlendorf ist unspektakulär. U19-Coach. Rasenplatz, Plastikbänke, Nachwuchsarbeit im besten Sinne. Später wechselt er in die Akademie von RB Leipzig – keine große Bühne, aber ein wichtiger Schritt. Dort lernt er, wie man mit Talenten arbeitet, wie man Spieler nicht nur besser macht, sondern versteht. Wie man Fußball nicht nur aufstellt, sondern entwickelt.


2017 folgt der Wechsel zum FC Bayern – allerdings nicht auf die große Bühne, sondern erneut in den Nachwuchs. Hoeneß übernimmt die U19, später die Amateure. Die Schlagzeile „Hoeneß bei Bayern“ sorgt für Raunen, aber nicht für Respekt. Den muss er sich erarbeiten. Und das tut er. Mit Sorgfalt, Struktur und einem Händchen für Menschen.

„Wir haben nicht den Anspruch, alles zu gewinnen – sondern uns zu entwickeln. Und wenn du das richtig machst, kommt der Erfolg oft dazu.“

2020 wird sein Jahr: Mit der zweiten Mannschaft des FC Bayern gewinnt er die Dritte Liga. Als erster Trainer überhaupt mit einem Reserve-Team. In einer Liga, in der andere Vereine um Existenz und Aufstieg spielen, lässt er seine Mannschaft Fußball spielen, der besser aussieht als er müsste.

Wir haben nicht den Anspruch, alles zu gewinnen – sondern uns zu entwickeln. Und wenn du das richtig machst, kommt der Erfolg oft dazu.“, sagte er damals.

Erfolg kam. Und mit ihm: Aufmerksamkeit.


Zwischen Wollen und Wanken – Die Zeit in Hoffenheim


Nach dem Triumph mit den Bayern-Amateuren 2020 wagt Sebastian Hoeneß den nächsten Schritt – und landet bei der TSG Hoffenheim. Es ist ein Verein, der in seiner Stillheit zu seinem Auftreten passt: analytisch, entwicklungsorientiert, eher graue Energie als Flutlichtdrama. Der perfekte Ort – sollte man meinen. Doch es wird kompliziert.

In seiner ersten Saison führt Hoeneß die TSG auf Platz elf. Er stabilisiert, integriert, gibt Talenten Raum – aber der Klub bleibt im Niemandsland. Es ist kein Scheitern, aber auch kein Sprung. Und das merkt auch er selbst.

„Ich habe gewusst, worauf ich mich einlasse. Das war keine einfache Konstellation – aber eine reizvolle“, sagt er rückblickend im kicker.


Es sind viele kleine Dinge, die nicht zünden: Verletzungen, eine unsaubere Kaderstruktur, fehlende Konstanz. Die Mannschaft spielt mal spektakulär, mal fahrig. Und auch Hoeneß wirkt mitunter zerrieben zwischen dem Anspruch, etwas aufzubauen – und dem Zwang, sofort zu liefern.


2021/22 verpasst Hoffenheim die internationalen Plätze, obwohl man zwischenzeitlich oben mitmischt. Am Ende steht wieder Platz neun – und das Gefühl, dass da mehr drin war.

„Ich bin nicht zufrieden mit der Rückrunde. Wir haben uns zu viele Ausrutscher erlaubt“, sagt er damals nüchtern – und fügt hinzu:

„Aber wir haben auch gesehen, welches Potenzial in dieser Mannschaft steckt.“


Im Sommer 2022 ist Schluss. Die Trennung verläuft leise, respektvoll – wie fast alles bei Hoeneß. Er geht ohne Getöse, aber auch ohne Applaus. Und vielleicht braucht es genau dieses Zwischenspiel, dieses Unfertige – damit später in Stuttgart alles so klickt, wie es heute klickt.


Stuttgart, das Chaos und die klare Linie


Als Sebastian Hoeneß im April 2023 beim VfB Stuttgart anruft, steht der Klub auf Platz 16. Sechzehn Punkte aus 26 Spielen, drei Trainer hatten es bis dahin versucht, keiner hatte das Ruder herumgerissen. Zwischen Frust, Pfeifkonzerten und Trainerdebatten fragt sich halb Cannstatt: Wer soll das jetzt noch retten? Hoeneß sagt zu. Ohne lange zu überlegen.


„Ich hatte das Gefühl, das passt. Ich habe gespürt, dass es hier eine Mannschaft gibt, die mehr kann.“, wird er später sagen. Und er sollte recht behalten.

Gleich sein erstes Spiel: ein 1:0 im Pokalviertelfinale gegen den 1. FC Nürnberg. Solide, nüchtern, kein Feuerwerk – aber ein Sieg. Und mehr noch: eine Richtung. Auf einmal erkennt man in diesem verunsicherten Haufen wieder Prinzipien. Abstände, Ballgewinne, Kompaktheit. Stuttgart spielt wieder, statt nur zu reagieren. Es ist kein Zauber, kein System-Hexenwerk – sondern: Struktur. Vertrauen. Plan.

„Wir waren gefühlt tot – und plötzlich lebendig.“

Und so rückt der Relegationsplatz langsam näher. Siege gegen Bochum, gegen Gladbach, ein 3:3 gegen Dortmund nach 0:2 und Unterzahl – Hoeneß bringt die Mannschaft nicht nur sportlich zurück, sondern auch mental. Spieler wie Führich, Anton oder Enzo Millot blühen auf.

„Wir waren gefühlt tot – und plötzlich lebendig.“, sagt Waldemar Anton nach dem Klassenerhalt. „Das hat viel mit dem Trainer zu tun.“


Dann kommt der HSV.


Relegation, Erlösung, Revolte


Zwei Spiele gegen den HSV. Zwei Spiele um alles. Stuttgart dominiert Hin- und Rückspiel, als ginge es nicht um Nerven, sondern um Automatismen. Das Hinspiel ein 3:0 – schnell, präzise, mit einer neuen Klarheit. Im Rückspiel reicht ein 3:1 in Hamburg, am Ende steigen nur die Gäste auf den Zaun. Und mittendrin: Hoeneß. Nicht mit Fäusten in der Luft, sondern mit diesem typischen leisen Grinsen. Zufrieden, aber nicht überrascht.

Der Klassenerhalt ist geschafft – doch es fühlt sich nicht an wie Rettung, sondern wie Aufbruch.

Denn was Hoeneß in diesen wenigen Wochen etabliert hat, ist mehr als ein kurzer Lauf. Er bringt eine Idee mit. Und die ist durchdacht.

„Ich glaube daran, dass Fußball Kontrolle braucht.“

Steil-Klatsch, zentrales Dreieck, hohe Restverteidigung. Seine Teams suchen nicht nur Lösungen – sie schaffen sich Räume, in denen sie wirken können. Wer genau hinschaut, erkennt Spuren von Roberto De Zerbi: das vorsichtige Herauslocken des Gegners, die kontrollierte Provokation im Aufbau, die Ballzirkulation mit Ziel. Nicht auf Ballbesitz um jeden Preis, sondern um den Moment zu schaffen, in dem man zuschlägt.

„Ich glaube daran, dass Fußball Kontrolle braucht – aber nicht um ihrer selbst willen, sondern um gefährlich zu sein.“, sagt Hoeneß im kicker im Herbst 2023. Das ist sein Mantra: erst Ordnung, dann Tempo.

Und so beginnt die neue Saison – eine, die den VfB Stuttgart verändern wird.


Zwischen Wahnsinn und Wachheit: Stuttgart wird Vizemeister


Niemand hatte den VfB auf dem Zettel. Die Prognosen? Solider Mittelfeldplatz, vielleicht obere Tabellenhälfte. Aber was Sebastian Hoeneß in der Saison 2023/24 aus dieser Mannschaft herauskitzelt, ist mehr als überperformen – es ist ein radikaler Neustart im laufenden Betrieb.

Der VfB spielt, als hätte jemand ein unsichtbares Gummiband zwischen den Linien gespannt. Alles ist eng, aber beweglich. Führich und Millot wirbeln, Anton wird zum Organisator, Guirassy zum Monster im Strafraum. Der Fußball ist schnell, aber nie hektisch. Die Pässe kommen wie gezählt, oft nur ein Kontakt, dann geht’s steil. Die Gegner wissen, was kommt – sie können es nur nicht verhindern.


„Das ist kein Zufall, das ist Automatisierung.“, schreibt der kicker im März. Und man merkt: Stuttgart ist nicht mehr die Überraschung – sondern ein echtes Spitzenteam.

Es sind diese Spiele, in denen Stuttgart auf Bayern trifft und sich nicht duckt. In denen sie Dortmund herspielen, als sei das keine Ausnahme, sondern Normalität. Die Mannschaft wirkt leicht – und gleichzeitig total klar im Kopf. Nichts wirkt zufällig. Jeder Laufweg, jeder Pass hat Richtung. Es ist, als würde der VfB in seiner eigenen Sprache sprechen – und alle verstehen es plötzlich.


Am Ende steht Platz 2. Vizemeister. 73 Punkte. Direkt hinter Leverkusen, vor Bayern, vor Dortmund. Der VfB spielt Champions League. Das Neckarstadion singt wieder.

Und Hoeneß? Der sitzt da, in seinem grauen Sweater, und sagt:

„Es freut mich für den Verein, für die Menschen hier. Aber wir wissen auch: Das ist nur ein Moment. Der Fußball fängt immer wieder bei Null an.“

So denkt einer, der nicht fliegt, wenn er gewinnt – sondern bleibt, wenn’s ernst wird.


Zwischen Alltag und Ausnahmezustand


Denn nach der Vizemeisterschaft 2024 startet der VfB Stuttgart in eine Saison, die nicht mehr von Leichtigkeit getragen wird, sondern von Erwartungen. Alles ist anders. Plötzlich ist der VfB kein Überraschungsteam mehr, sondern ein Klub, der liefern soll – in der Bundesliga, in der Champions League, im Pokal.

Die Liga beginnt zäh. Verletzungen bremsen, das Spiel wirkt mühsamer, die Automatismen greifen nicht wie im Vorjahr. Gegner pressen höher, stehen tiefer, schenken Stuttgart kaum noch Raum. Die Champions-League-Reisen zehren an den Kräften. Und doch: Es bleibt ruhig.


Hoeneß coacht weiter mit klarem Blick.

„Auf allen Ebenen im Verein wollen und müssen wir weiter alles geben, um dauerhaft erfolgreich zu sein.“

Ein Satz, der nicht nach Druck klingt, sondern nach Arbeit. Und nach Verantwortung.


Was in der Liga holpert, funktioniert im Pokal dafür umso besser. Der VfB wirft erst die Bayern raus, dann Leipzig – und steht plötzlich wieder in einem Finale. Zehn Monate nach dem größten Erfolg seit 15 Jahren ist Stuttgart erneut auf dem Weg nach Berlin. Dieses Mal nicht als Außenseiter, sondern als Favorit – gegen Drittligist Arminia Bielefeld.


Nach dem Halbfinalsieg gegen Leipzig: wildes Jubelknäuel, Gesänge, Schulterklopfen. Und Sebastian Hoeneß, mittendrin, wird vom ZDF gerade zum Siegerinterview gebeten. Er spricht ein paar Sätze – und geht.

„Ich muss jetzt bitte auf das Foto. Da darf ich nicht fehlen.“

Kein Fluchtversuch. Nur dieser Moment, in dem ein Trainer zeigt, worum es ihm eigentlich geht: ums Team. Um das Wir. Um das Bild, das bleibt.

Denn das ist das Bild, das Hoeneß hinterlässt. Nicht der Einzelne, der auffällt. Sondern der Rahmen, in dem etwas gewachsen ist.


Der, der aus Talenten Leistungsträger macht


Wenn man den VfB Stuttgart dieser Tage verstehen will, muss man sich nicht nur die Tabelle anschauen. Man muss sich anschauen, wie sich einzelne Spieler verändert haben. Wie sie anders laufen, anders denken, anders spielen. Und keiner steht so sinnbildlich für diesen Wandel wie Nick Woltemade.


Zu Saisonbeginn nicht mal für den Champions-League-Kader gemeldet. Zwischen Körpergröße und Spieltempo, zwischen Hoffnung und Fragezeichen. Und heute? Stammspieler. Wandspieler. Kombinationsmaschine.

„Nick wird zu Recht sehr hoch eingeschätzt. Er ist ein großer, schlaksiger Spieler – aber hat eine hervorragende Technik“, sagt Sebastian Hoeneß.

„Er kann seinen Körper einsetzen, Bälle halten. Sein Repertoire ist außergewöhnlich.“

Das ist kein Zufallsfund. Das ist Entwicklung. Geduldig, gezielt, getragen von einem Trainer, der nicht nur sehen will, was ein Spieler schon ist – sondern was er noch werden kann.


Woltemade ist nicht der einzige. Millot, Führich, Leweling – Spieler, die unter Hoeneß den nächsten Schritt gemacht haben. Nicht durch Zaubertraining. Sondern durch Vertrauen, Klarheit und Wiederholung. Durch einen Fußball, der Prinzipien kennt, aber Spielraum lässt. Der Automatismen will – aber keine Automatismen erzwingt.


Und dann ist da noch die Frage: Wie lange bleibt das so?

Hoeneß hat seinen Vertrag verlängert, bis 2028. Bayern München? War Thema. Ist es vielleicht wieder irgendwann. Aber im Moment hat man in Stuttgart das Gefühl: Hier ist einer, der will nicht weg. Der will etwas bauen.

„Es ist schön, das Vertrauen zu spüren – und ich habe große Lust auf die Herausforderungen, die hier noch vor uns liegen.“

Das sagt er nach der Verlängerung. Und man glaubt ihm das. Weil es nicht auswendig gelernt klingt. Sondern ehrlich.

So wie alles bei ihm: ohne Allüren. Aber mit Wirkung.

 
 
 

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